Chronologie des Alptraums

11.4.19
Nach 2 Wochen, die ich mit dem Verdacht auf eine angehende Lungenentzündung bereits hauptsächlich im Bett verbracht hatte, erlitt ich abends vor dem Zubettgehen einen Krampfanfall. Zuvor hatte ich mich bereits etwa ein halbes Jahr lang zunehmend schlapp und weniger belastbar gefühlt und meine (gewohnten) Rückenbeschwerden hatten auch etwas zugenommen. Die zu Hilfe gerufene Rettungsleitstelle gab uns telefonisch einige Tipps, der Anfall schwächte sich ab und der hausärztliche Notdienst kam etwa eine Stunde später zu Besuch. Ich bekam ein zusätzliches Medikament für die Lunge.

12.4.19
Nach dem Aufwachen erlitt ich zuhause zwei weitere Krampfanfälle, als ich gerade kurz alleine Zuhause war. Ich geriet in Panik, da ich motorisch nicht einmal in der Lage war, die Tabletten gegen Panik, die mir der Arzt in der Nacht dagelassen hatte, zu mir zu nehmen. Als mein Mann wieder zuhause war, folgte ein weiterer Anfall und mit Ankunft des Rettungsdienstes noch einer. Ich kam im die Notaufnahme, Blut wurde entnommen. Und ich kam in die Aufnahmestation.

13.4.19
Spät nachmittags erlitt ich einen Krampfanfall und in der Notaufnahme wurden ein EKG und ein CT vom Kopf gemacht. Dort war recht schnell klar, dass sich im Gehirn (übereinstimmend mit den Krampfsymptomen) Metastasen entwickelt hatten. Ich bekam nun im ersten Schritt Medikamente gegen Epilepsie.

14.4.19
Ich wurde auf die onkologische Station verlegt und führte dort ein Aufnahmegespräch zur jetzt anstehenden, weiteren Diagnostik, die das Ausmaß und den Typen des Tumors genauer bestimmen sollte. Die Vermutung sei, es handele sich um das Mamacarzinom von 2009 und in dem Fall gäbe es inzwischen gute Medikamente für diesen, stark hormongesteuerten Tumor, sagten die Ärzte. Allerdings sei ich in einem Stadium der Erkrankung, das als unheilbar gilt. Es gehe darum, meinen Zustand zu stabilisieren, oder bestenfalls leicht zu verbessern.

15.4.19
Der Ultraschall der Bauchorgane ergab Lebertumoren.

16.4.19
Ein CT mit Kontrastmittel vom Rumpf (etwa 40 Minuten lang still auf dem Rücken liegen) ergab wertere Tumoren in Knochen und Lunge. Für die Tumorbestimmung wurde die Leber unter leichter Narkose punktiert. Nach der Punktion ging es in die Strahlentherapie, zur Aufklärung über die geplante Behandlung. Sie wurde mir im ersten Schritt und mit Priorität 1 angeraten, um die am stärksten befallenen Knochen (Schädel, Brustwirbelsäule) sowie das Gehirn zu behandeln. Am Abend bekam ich unterstützend eine Infusion mit Bisphosphonaten, zur Knochenstärkung. Die Nacht darauf bekam ich grippeähnliche Symptome (Nebenwirkung der Knochenbehandlung, wie ich inzwischen weiß).

Mittagessen und die Arztvisite habe ich an diesem Tag versäumt und mich während der langen Wartezeiten zwischen den Untersuchungen im Bett oder Rollstuhl zumeist auf Krankenhausfluren befunden, nie wissend, ob ich vergessen wurde.

17.4.19
Früh morgens ging es in die Nuklearmedizin. Ein Szintigramm der Weichteile wurde nach Gabe der radioaktiven Flüssigkeit erstellt (ca. 40 Minuten lang still auf dem Rücken liegen) Daraufhin sollte ich möglichst viel Wasser trinken, damit die radioaktive Substanz bis Mittag die Knochen erreicht hat und im 2. Schritt diese Aufnahmen gemacht werden können.

Anschließend kam ich direkt in die Strahlentherapie, zu Planung der Bestrahlung. Meine Lagerung im Gerät und die Platzierung der Bestrahlungsfelder wurde mit Hilfe von CT (wieder ca. 40 Minuten still auf dem Rücken liegen) und der Herstellung einer Plastikmaske zur Fixierung des Kopfes bestimmt. Zwischen 12 und 14 Uhr liefen dann die weiteren, nuklearmedizinischen Aufnahmen (Skelett komplett und Hüfte, insgesamt ca. 60 Minuten lang still auf dem Rücken liegen). Das Mittagessen war kalt. Um 16:00 Uhr wurden Kopf und Brustwirbelsäule erstmalig bestrahlt. Dazu wurde mein Kopf mit Hilfe der (inzwischen sehr harten) Plastikmaske an dem harten Tisch fixiert. Das war das erste Mal das Gefühl für mich, lebendig begraben und absolut hilflos zu sein. Ständig musste ich meinen Hustenreiz unterdrücken und war umgeben von Geräuschen, die aus einem Science-Fiction Film hätten sein könnten. Meine Praxis in Sachen Meditation und Atemtechnik halfen mir in diesen Momenten sehr (insgesamt wieder ca. 40 Minuten lang still auf dem Rücken liegen).

Als ich auf die Station zurückkam, sollte ich direkt wieder los, zum MRT meines Kopfes. Ich sagte „nein, das schaffe ich heute nicht mehr.“ – „Die Patientin verweigert.“ hörte ich die Schwester ins Telefon sagen. „Ja, das tut sie.“ hörte ich meine innere Stimme. Am Abend führte ein junger Arzt unserer Station ein aufklärendes Gespräch mit der ganzen Familie – in erster Linie ging es darum, den Kindern so kindgerecht wie möglich die gröbsten medizinischen Informationen zu liefern. Rückblickend fand ich mich, wenn ich an diesem Tag keine strapaziösen Untersuchungen hatte, größtenteils müde und wartend auf vollen Krankenhausfluren wieder.

18.4.19 (Gründonnerstag)
Um 8 Uhr ging es zur 2. Bestrahlung. Anschließend kam ich in die Neurologische Abteilung, für ein EEG. Ein weiteres CT wurde wurde von Halswirbelsäule, Kiefer und Kopf erstellt (ca. 30 Minuten lang in einer schmalen Röhre still auf dem Rücken liegen). Die Hüfte wurde geröntgt und schließlich kam ich zum (bislang verweigerten) MRT meines Kopfes mit Kontrastmittel (wieder ca. 40 Minuten lang still auf dem Rücken liegen, in einer schmalen Röhre, unter ohrenbetäubenden Geräuschen). Am späten Nachmittag wurde ich dann entlassen. Eine weitere Ultraschalluntersuchung des Herzens für die anstehende Systemtherapie war an diesem Tag seitens der Klinik nicht mehr möglich und wurde als poststationärer Termin auf die Woche nach Ostern verlegt. Ein Termin zur Abschlussbesprechung wurde für das Ende der folgenden Woche vereinbart. Bis dahin sollte auf Grundlage der Diagnostik ein Therapievorschlag in der Tumorkonferenz erstellt worden sein. Die weiteren Bestrahlungstermine fanden ab diesem Zeitpunkt werktäglich ambulant statt.

Ich war jetzt endlich wieder zuhause. Und ich habe mich dort noch nie so schwach und nutzlos gefühlt.