… und sogenannte Hilfsmittel im Allgemeinen

Bei meiner ersten Krebsdiagnose 2009 dachte ich mir in den Aufklärungsgesprächen zu den Nebenwirkungen der damals verordneten adjuvanten Chemotherapie: „Ein halbes Jahr Glatze – im Vergleich zu den anderen Nebenwirkungen ist das ja wohl die leichteste Übung …“

Weit gefehlt – auf mich hatte sich gerade diese Glatze und der Verlust vom Wimpern und Augenbrauen überraschend bedrückend ausgewirkt, als ob mein Spiegelbild mir sagen wollte „Du gehörst nicht dazu: du gehörst zu den Unglücklichen, den Anderen, den Hoffnungslosen…“

Trotz aller angewandter Yogatechnik, Autosuggestion und rationaler Reflexion traf mich diese Zeit ohne Haare wirklich härter als erwartet. Mein Blick auf meine Leidensgenossinnen schärfte sich – die unsäglichen Rezept-Perücken und sonstigen Kopfbedeckungen für diesen Zweck erkannte ich sofort und fühlte mich gleich innerlich verbunden mit diesen Frauen.

Warum müssen diese „Hilfsmittel“ so schlecht gemacht sein – Perücken mit altbackenen Frisuren, kratzig, aus stinkendem Plastik; Kopfbedeckungen die allesamt aussehen, wie altmodische Bademützen? Auch die spezielle Unterwäsche und Bademode für Brustprothesen, fest geschnürt wie Panzer – 60 Plus-Style. „Entschuldigung, dass ich erst 38 bin – ich komme dann vielleicht in 22 Jahren wieder vorbei.“

Die Haare wuchsen ja glücklicherweise recht flott nach der Chemo wieder nach und in der Zwischenzeit habe ich mir ein paar Tricks für das Bestücken von herkömmlichen BHs und Bikinis mit Volumen ausgetüftelt, um mich von der Bequemlichkeit her gut und auch modisch wie eine Frau Ende 30 zu fühlen.

Die erste Bestrahlung, die ich 2010 bekam, war auf den Bereich der damals amputierten Brust beschränkt. Sie folgte auf das halbe Jahr Chemotherapie und ich vertrug sie damals ganz gut. Während dieser Phase der Strahlentherapie wuchsen damals die Kopfhaare schon nach und ein Vierteljahr später hatte ich schon wieder eine kecke Kurzhaar-Frisur. Spätestens ab da fühlte ich mich wieder zurück im Leben, wenn ich mich auch 10 Jahre alter fühlte und zunächst einmal recht kurzfristig Pläne für die Zukunft zu machen traute.

Nun bin ich zum zweiten Mal kahl auf dem Kopf. 

Diesmal nahm ich die Bemerkung bei der Aufklärung zur Strahlentherapie meines Schädels auch erstmal auf die leichte Schulter: „Zirka 4 Wochen lang täglich Bestrahlung, nach etwa zwei Wochen gehen die Haare nur auf dem Schädel aus – „Ist doch ein Klacks, gegen die Chemo-Glatze“, dachte ich mir.

Es verlief anders als vor 10 Jahren. Damals war der Haarausfall eine recht kurze Sache von 2 – 3 Tagen gewesen. Die Haare hatte ich schonmal auf einen Millimeter rasiert, als die Haarwurzeln anfingen, sich komisch anzufühlen. Binnen 2 – 3 Tagen konnte ich mir dann die Stoppeln samt Wurzeln vom Kopf streichen und der Schädel war glatt und weich.

Diesmal schmerzten die Haarwurzeln über eine Woche lang und es fielen nicht alle Haare aus, dazwischen blieben Stoppeln stehen. Diese „Stacheln“ bohren sich nun in alle Arten von Tüchern, Mützen, Schals, etc. hinein und der Kopf juckt, berennt und dröhnt ohnehin schon genug. Die Kopfhaut selbst ist natürlich auch extrem durch die Strahlen betroffen (wie bei einem starken Sonnenbrand). So gesehen war ich da wieder ganz schön naiv gewesen beim Aufklärungsgespräch. Dann erfuhr ich gegen Ende der Bestrahlung, dass die Haare sich mit dem Nachwachsen wohl schon etwa 2 – 3 Monate Zeit lassen würden. Dass die Bestrahlungsstrapazen (Kopfdruck, Dröhnen, Hör-, Seh- und Konzentrationsprobleme, …) sich noch bis zu einem Monat nach der letzten Dosis hinziehen würden, hatte ich auch nicht erwartet – da muss ich im Delirium nach meiner Leberpunktion beim Aufklärungsgespräch am 16.4. wohl nicht richtig aufgepasst haben.

Inzwischen (2 Wochen ist die letzte Bestrahlung jetzt her) hat sich zumindest die Kopfhaut wieder beruhigt. Ich habe vereinzelt Stoppeln auf dem Kopf und bin gespannt, wann der Babyflaum sich wieder rauskommen traut, oder vielleicht kommen ja gleich wieder die dicken Stoppeln? Jedenfalls hoffe ich, die nächsten Wochen auch ohne Hilfsmittel für den Kopf zu überstehen. Raus gehe ich ohnehin kaum, bin viel zu schlapp. Die Lichtblicke (z. B. die Haut, die sich beruhigt hat) halten sich derzeit mit den Rückschlägen (z. B. das neue Medikament, das nun doch Schwierigkeiten für Magen und Darm macht) die Waage. Immerhin.